Medientage München 2023 - TV und VR
München [ENA] An neuem Veranstaltungsort setzten die Medientage München, diesmal unter der Überschrift "Intelligence", ihr bewährtes Sortiment aus Medien-, TV- und Audiogipfel fort und fügten einen KI-Gipfel hinzu. Daneben gab es Masterclasses, das Jugend- und Nachwuchsprogramm und den Europatag der Juristen.
Sogar ins nahegelegene Riesenrad hatte man Veranstaltungen ausgelagert. Der TV-Gipfel bediente zuverlässig die wohlbekannten Fragen der Finanzierung und veränderten Konkurrenzsituation im Bewegtbildmarkt, die uns schon seit Jahrzehnten begleiten. "Erlöse unter Druck - Wer bezahlt das Premium-Programm von morgen?" fragte, wie seit Jahrzehnten, Moderator Torsten Zarges. "Duales Rundfunksystem außer Balance?" argwöhnte man, wie seit den Zeiten des grantelnden RTL-Thoma, auch heute noch - und auf der anderen Seite "Wie geht‘s weiter mit den Öffentlich-Rechtlichen?". Müssen sie sich etwa neu erfinden - oder heißt "Rundfunk reloaded" nur: Gebührenstreit wie immer?
Dieser wurde personifiziert in einem Streitgespräch zwischen Tom Buhrow, WDR, und Rainer Robra, Kultur-Staatsminister in Sachsen-Anhalt. Der bisherige Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten ist immerhin nun in "Videotrends" umbenannt, doch die Aufgabe des Regulierers ist die selbe wie früher, wenn es für den Nutzer darum geht: Vielfalt finden, Vielfalt nutzen. BLM-Chef Dr. Thorsten Schmiege brauchte nur das Verbum auszutauschen, statt "Must carry" jetzt "Must be found".
Und wie dazumal beklagte die ARD, hier in Person von Tanja Hüther, die schwierige Auffindbarkeit der ARD. Es ist die gleiche Konstellation wie vor Jahrzehnten, als Premiere-Chef Leo Kirch mit der dbox und der proprietären Bedienoberfläche die erste Auffindbarkeitskrise verursachte - die letztlich zur Programmierung von HbbTV führte, das aber mittlerweile in der Diskussion um die Betriebssysteme von Fernsehern keine nennenswerte Rolle mehr spielt.
Nach welchen Regeln dieser Markt mittlerweile spielt und "Wie Betriebssysteme die Zukunft des Streamings gestalten", führte die Diskussion "TV-Plattformen als Game-Changer" recht rüde vor Augen. Daß sich auf den Fernbedienungen mittlerweile die Namen der großen, kostenpflichtigen Streamingdienste finden und die Gerätehersteller, hier Sharp, durch Sascha Lange vertreten, sich die im Betriebssystem implementierten Apps bezahlen lassen, ist bekannt. Mit dem Geräteverkauf allein könne der Hersteller nichts mehr verdienen, gab Lange zu bedenken. Der Fernseher als inhalteneutrales Endgerät ist also Geschichte.
Auf der anderen Seite trumpfte ein offensichtlich überflüssiger neuer Intermediär wie Waipu-TV damit auf, den hiesigen Sat- und Kabelempfang ersetzen zu wollen, obwohl er ja auch nur die vorhandenen und auf jedem Smart-TV empfangbaren Inhalte aggregiert. Auch der Repräsentant von Roku, das wieder nur Internet-Fernsehen ermöglicht, wie es jeder Smart-TV ohnehin schon kann, vermochte keinen begreiflichen Grund für ein solches Produkt zu nennen.
Ein wenig VR
Der XR-Hub Bavaria bot erfreulicherweise in einem XR-Space einige VR-Projekte zur Besichtigung an. Dabei zeigte sich rasch ein großes Qualitätsgefälle, von einem hingeschluderten Videospiel aus den USA, nicht einmal in 3D, dessen Spielmechanik nicht einmal die Präsentatoren begriffen, zu einem verschroben-mystifizierten Gebilde aus der "Unendlichen Bibliothek", die das Goethe-Institut in Auftrag gegeben hat, obwohl es nichts mit Literatur, geschweige denn deutscher Literatur zu tun hat, sondern von polynesischer Navigation handelt, und schließlich zu der diskutablen "Tapestry of Spaces - Das Lied der Räume" mit KI-generierter Musik als immersivem Audio.
Die Münchner Symphoniker zogen dafür ChatGPT heran und spielten das - natürlich noch von Musikern redigierte - Material auch selbst. Ein großes Symphonieorchester und die Komplexität seiner Musik läßt sich mit diesen Mitteln nicht abbilden, schon deshalb, weil es dort ja nicht auf einzelne Instrumentalisten ankommt, sondern die abstrakte Struktur der notierten Musik selbst. Dazu müßte man den Begriff Virtueller Raum erst einmal ernst nehmen.
Neuer Ort, neues Design, neue Probleme
Der Umzug der Medientage vom Kongresszentrum ICM in Riem in das House of Communication im sog. Werksviertel mag sich verschiedenen Beweggründen verdanken. Die leichtere Erreichbarkeit wird man gerne zugestehen. Die Nähe zur Werbewirtschaft - die ja schon seit langem den Begriff Kommunikation euphemistisch für 'Werbung' usurpiert - mag etwas weniger einleuchten, auch wenn es sich Serviceplan-Chef Dr. Peter Haller zur Ehre anrechnete, die dreitägige Veranstaltung in seinem Hause beherbergen zu dürfen. Der Gebäudekomplex brachte jedoch nicht wenig Probleme mit sich, zunächst schon insofern er aus drei miteinander nur durch Brücken verbundenen Gebäuden besteht.
Durchgang ist also nur im Obergeschoß möglich; der Rest ist anstrengendes Treppensteigen. Die originäre Innenarchitektur ist schon preziös genug, mit einer absonderlichen Typographie, völlig unverständlichen Symbolen und Ortsbezeichnungen und einer strikt englischen Beschriftung, die das Gebäude nochmals entfremdet. Dazu kam die visuelle Inszenierung der Medientage, die sich ein neues, betont buntes Design leisteten, das offensichtlich Fröhlichkeit vermitteln sollte. Der erste Gang durch diese Inszenierung ließ den Gedanken aufkommen (neudeutsch formuliert): ein Kindergarten auf Speed.
Tatsächlich verdichtete sich der Kindergarten noch im Erdgeschoß in der Nachwuchsabteilung "Media for You", wo dann infantile Utensilien und eine Schnitzeljagd angeboten wurden, aufgelistet im Programmheft "My Guide". Präsentiert wurden "Content Creators" auf der "Media Idol Stage", und für den Berufseinstieg konnte der jugendliche Aspirant ein "Coffee-Date" zu einem "Career Coffee" treffen. Selbstverständlich gab es auch eine "Chillout Area". Die Aufforderung "Finde dein Zukunfts-Ich in den Medien!" läßt angesichts einer solchen Umgebung aus Hohlheit und Verfremdung Schlimmes erwarten.
Die Orientierung im Gebäude wurde also sehr schwer gemacht - und die zum "Locationplan" umbenannte Raumübersicht half da auch nicht mehr weiter. Die schwierige Orientierung wurde zwar mit allmählicher Gewöhnung bewältigt, doch das Platzproblem blieb. Das Haus war viel zu klein für die Besuchermassen, und einige Veranstaltungen waren deshalb ausgelagert. Schon der Medientagegipfel war so überfüllt, daß in ein weiteres Auditorium übertragen werden mußte, und bei vielen weiteren Diskussionsrunden war der Andrang auch groß genug, daß man zeitig zur Stelle sein mußte, und dabei gingen die an sich sehr nützlichen viertelstündigen Pausen zwischen den Veranstaltungen wieder verloren.
Auch der Platz für die Aussteller fehlte, so daß sie nurmehr wie ein Schatten ihrer selbst waren. Und gleichzeitig fehlte der Platz für die vielen notwendigen Gänge zwischen den durch Farben benannten Sälen. Es herrschte stets drangvolle Enge, euphemistisch ausgedrückt: eine familiäre Atmosphäre, oder in einem anderen, gerade erst überwundenen Maßstab betrachtet: zur Corona-Zeit wäre es der schrecklichste Alptraum gewesen.
Im Rückblick erschienen die mühelose Rationalität der Binnenstruktur, die Orientierungstransparenz und das üppige Platzangebot im ICM in Riem und das frühere neutral-zurückhaltende Design der Medientage unversehens ungemein attraktiv. Und auch im Programmheft waren Verluste zu beklagen. Die frühere Numerierung der Veranstaltungen mit Dezimalklassifikation wurde nicht mehr angeboten.