Antikriegstag: "Europa muss Friedensmacht werden!"
München [ENA] Das Bündnis "München steht auf" mobilisierte deutschlandweit ca. 3000 Teilnehmer für den 1. September 2024 zu einer Friedensdemonstration nach München zum alljährlichen Antikriegstag. Der sächsische Kabarettist Uwe Steimle betonte in seiner Ansprache auf dem Marienplatz: "Frieden ist das Gesetz des menschlichen Lebens. [...] Wer nicht in der Liebe ist, kann nicht für Frieden sein!"
Um die 3.000 Demonstranten folgten am 01. September 2024 dem Aufruf des Bündnisses "München steht auf", um neben anderen Themen Folgendes im Bereich der Friedenspolitik zu fordern: "Ohne Waffen Frieden schaffen, schickt lieber Diplomaten statt Granaten. Den Wirtschaftskrieg, als eine andere Form des Krieges, beenden."(1) Die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Guérot, deren ein Großvater aus einem der Weltkriege nicht zurückkam und der andere ohne Beine, erinnerte daran, dass am 01. September 2024 sich der Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen von 1939 zum 85. Mal jährt. Sie gedachte auch der 27. Mio. Sowjet-Bürger, die dem "Zivilisationsbruch" des 20. Jahrhunderts mit dem Angriff der Nazis auf die Sowjetunion erlagen.
Ulrike Guérot: "Europa muss wieder Friedensmacht werden"
In einem exkursiven Einwurf äußerte Guérot ihre scharfe Kritik an der Rolle deutscher Leitmedien und dem Krieg in der Ukraine: "Die deutsche Bevölkerung konnte und kann in diesen Krieg nur hineningetrieben und darauf vorbereitet werden, weil die Leitmedien ihn herbeischreiben, weil die Leitmedien versagt haben bzw. ihre journalistische Sorgfaltspflicht nicht erfüllen, objektiv und nüchtern von beiden Seiten der Front zu berichten und dabei, anstatt unreflektierter Parteinahme für eine der beiden Kriegsparteien, vor allem die eigenen Interessen, die Interessen unseres Landes und die von Europa zu beleuchten."
Die Publizistin stützte ihre oben formulierte These auf eine Studie von Harald Welzer und Leo Keller unter der Überschrift "Die veröffentlichte Meinung. Eine Inhaltsanalyse der deutschen Medienberichterstattung zum Ukrainekrieg" vom 19.04.2023, deren Fazit lautete: "Wir schreiben nur von Waffenlieferungen und überhaupt nicht von Diplomatie. Kurz: Wir schreiben den Krieg förmlich herbei." (2)
"Pazifismus ist ein Schimpfwort geworden, Diplomatie wird verhöhnt, Friedensangebote wurden ausgeschlagen. Russland, mit dem wir einst eine europäische Sicherheitsarchitektur bauen wollten - 'ein gemeinsames europäisches Haus', wie Gorbatschow sagte -, wurde systematisch und nicht erst seit gestern, sondern ziemlich genau seit Putins Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2006, schlechtgeschrieben; Hauke Ritz und ich zeichnen das in unserem Buch 'Endspiel Europa' detailliert nach", analysierte die Politikwissenschaftlerin.
"Selenskyj wird als Freiheitskämpfer überhöht, ohne dass auf die Vorgeschichte dieses Krieges, den ukrainischen Bürgerkrieg seit dem Maidan, geschaut wird; oder die reaktionären ileberalen Umtriebe protofaschistischer Gruppen in der Ukraine auch nur zur Kenntnis genommen werden. Alle kritischen Einwände gegen diesen Krieg werden mit der rosa-roten, naiv-ideologischen Sprechblase: 'Es geht doch um unsere Sicherheit' oder mit dem Totschlagargument: dem Verweis auf den bösen Putin weggewischt", führte Guérot ihre kritische Analyse weiter aus.
"'Krisenzeiten führen historisch immer zu einer Verengung des Diskursrahmens. Je unklarer die Situation ist, desto größer die normative Verengung', schreiben Keller und Welzer dazu. Kurz: Im Krieg sind Diskussionen oder Kritik unerwünscht. Eine Gesellschaft, die kriegstüchtig werden soll, hat keine Fragen zu stellen. Sie hat zu funktionieren und die meisten machen mit; widerwillig, vielleicht am Ende doch gefügig", lautete ihre gesellschaftspolitische Analyse. Darüber hinaus bezeichnete Guérot das Verhalten der Bundesrepublik gegenüber der Ukraine, nachdem bekannt wurde, dass jene an der Sprengung von Nord-Stream-II beteiligt gewesen sein soll, als "masochischtisch" und "selbstmörderisch" und fragte, wer denn der Sadist sei in diesem Fall.
2/3 der Deutschen wünschen sich laut einer von Sahra Wagenknecht und dem 'Emma-Magazin' von Alice Schwarzer in Auftrag gegebenen Umfrage Diplomatie, Frieden, Verhandlungen. Sie seien gegen die Lieferung von Taurus-Raketen und gegen die Stationierung von amerikanischen Langstreckenraketen, betonte Guérot. Anschließend stellte sie heraus, dass schon Immanuel Kant wusste: Es seien die Regierungen und hinter ihnen die Börse und die Presse, die den Krieg wollen. Die Publizistin zitierte Kant und kommentierte die Stelle: "Was Kant hier formuliert, heißt eigentlich, dass wenn ein Krieg über die Köpfe der Bürger und Mehrheiten der Bevölkerung hinweg beschlossen und geführt werden kann, dann sind wir eigentlich nicht mehr in einer Demokratie."
Europa müsse wieder Friedensmacht sein, müsse aus dem Frieden wieder seine Kraft, seine Stärke, seine Identität ziehen, hob die Publizistin hervor. Zudem unterstrich sie, dass in beiden Kriegen, Gaza und Ukraine, Europa sich für Diplomatie und Befriedung einsetzen müsse, denn beide Kriege hängen historisch und gegenwärtig mit Europa zusammen und entscheiden auch über seine Zukunft "bzw. ob es überhaupt eine Zukunft hat bzw. ob es seine Traumata überwindet und eine neue Gestalt gewinnt". Guérot betonte ferner die Wichtigkeit eines söuveränen, emanzipierten Europa, das mitwirke "an der Schaffung einer gleichberechtigten multipolaren Welt, statt sich von den USA spalten und dominieren zu lassen".
Der Blick nach innen
Jens Lehrich (Journalist und Publizist) wies in seinem kurzen Redebeitrag darauf hin, wie wichtig es ist bei allen Schreckgespenstern und Grausamkeiten im Außen, bei sich selber anzufangen und den Blick nach innen zu wagen, statt die Feinde im Außen zu suchen und sich dadurch eine tragende Struktur zu geben in der Gewissheit, dass man selber richtig ist, die anderen jedoch ganz falsch. Diese Einstellung führt unweigerlich zum Unfrieden und zur Steigerung dessen, was man eigentlich gar nicht haben will. "Der Kampf gegen etwas oder gegen jemanden führt immer dazu, dass du immer von dem bekommst, was du ablehnst", lautete die zentrale Sentenz seines Beitrags.
Keyvan Soufi-Siavash (Journalist) begab sich in seiner Rede ähnlich wie Jens Lehrich vor ihm auf die Reise zu sich selber. Mit der Redewendung: "Es kann da draußen keinen Frieden geben, solange es den Krieg in den Betten gibt" leitete er zu den folgenden Fragen über: Wer denn könne von sich sagen, dass er in einer friedlichen Beziehung lebe? Wer denn könne von sich sagen, dass er ein friedliches Verhältnis hat zu seinem Arbeitgeber?
Soufi-Siavash mutmaßte darüber, dass die meisten Menschen sich in den privaten und geschäftlichen Räumen in Konfliktsituationen befinden und keinen Frieden und keine Liebe verwirklichen können. Er empfahl als Lösung zum persönlichen Unfrieden, die Hinterfragung des auf Kampf und Ausbeutung ausgelegten kapitalistischen Wirtschaftssystems, "aus dem Wettbewerb mit sich selber auszusteigen" (diesen Punkt hob er besonders hervor) und Gewaltfreiheit.
Da weder Kayvan Soufi-Siavash noch Jens Lehrich auf konkrete Angebote verwiesen, wie die Befriedung, Harmonisierung und Neugeburt im Geiste erreicht werden kann, erlaube ich mir als Zusatz zum Bericht zwei Empfehlungen. Besuchen Sie den Youtube-Kanal und lesen Sie die Bücher des Theologen, Psychotherapeuten und Schriftstellers Eugen Drewermann.(3) Lesen Sie außerdem das Buch "Der blinde Fleck" und besuchen Sie den Youtube-Kanal der Heilpraktikerin für Psychotherapie und Autorin Maria Sanchez.(4) An dieser Stelle sei schon mal bemerkt, dass der Spiritualitätsbegriff von Frau Sanchez aus meiner Sicht unbedingt einer kritischen Erörterung bedarf, um mehr Klarheit, Eindeutigkeit, Sinnhaftigkeit und existenziellen Wert zu gewinnen.
(1) https://muenchen-steht-auf.de/, (2) https://www.fischerverlage.de/magazin/neue-rundschau/die-veroeffentlichte-meinung, (3) z.B. https://www.youtube.com/watch?v=PtgtUCs2YZI, https://www.youtube.com/watch?v=v--S4QQMrfc, https://youtu.be/CdPPwZ85l1k?si=PZZ-9qhH8ZCQOY5H, (4) z.B. https://www.youtube.com/watch?v=OnmqYY8KWSI