Inkompetenz und Kompetenzillusion bei Führungskräften
Paderborn [ENA] Das allseits bekannte Peter-Prinzip sagt, dass innerhalb der beruflichen Karrierepfade jeder Beschäftigte dazu neigt, in der Hierarchie bis zur Stufe seiner Inkompetenz aufzusteigen. Peter schlussfolgert, dass in Unternehmen in einer gewissen Zeit jede Position mit einem Mitarbeiter besetzt ist, der inkompetent ist, seine Aufgabe zu erfüllen. Voraussetzung: genügend Hierarchiestufen, damit dieser Effekt eintritt.
Die Verteilung der Stufen der Inkompetenz folgt dabei einer Normalverteilung. Die effiziente und effektive Arbeitserledigung wird in diesen Unternehmen dann von jenen Mitarbeitern erledigt, die ihre Stufe der Inkompetenz noch nicht erreicht haben (vgl. u.a. Peter/Hull, 1972). Folgt man dem Peter-Prinzip, so ist offenkundig, dass die beiden Autoren, die zum damaligen Zeitpunkt vorzufindende Beförderungsmechanismen heranzogen. Personaldiagnostik fand damals noch nicht in ausreichendem Maße statt, ebenso wie eine effiziente und effektive Personalauswahl intern wie extern.
Inkompetente Führungskräfte sind seit der Betrachtung von Peter und Hull ein durchgängiges Thema in Zeitschriften und Büchern. So finden sich zwischen Titeln wie „Nieten in Nadelstreifen“ (Ogger, 1992) oder „Nieten ohne Nadelstreifen“ (Nauert, 2018) auch zahlreiche Publikationen mit wissenschaftlichem Hintergrund. Zu nennen sind z.B. die Veröffentlichungen „Warum so viele inkompetente Männer in Führungspositionen sind?“ (Chmorro-Prmozec, 2018) oder die Publikation „InkompetenzKompensationskompetenz: Wie Manager wirklich ticken?“ (Lisch, 2016). Inkompetenz im Management fand auch Ausdruck in der beliebten TV-Serie Stromberg und verfestigte für die Allgemeinheit, dass sich manche Mogelpackung innerhalb der Welt der Führungskräfte verbirgt.
Bedenklich für die Berufswelt werden inkompetente Führungskräfte u.a. dann, wenn ihr Verhalten auf einer individuellen Selbstüberschätzung basiert. Weiterhin erkennen solche Personen überlegende Fähigkeiten bei Anderen nicht an und sie können das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht richtig einschätzen. Ihre systematisch fehlerhafte Neigung, dass eigene Wissen und Können zu überschätzen, wird auch Dunning-Kruger-Effekt genannt (vgl. Kruger/Dunning, 1999). Eine solche Verneinung der eigenen Inkompetenz hat weitreichende Folgen für die betreffende Führungsperson und die Organisation. Wird die Inkompetenz im sozialen Umfeld sichtbar und angesprochen, fühlt sich die inkompetente Führungskraft nicht selten als „verkanntes Genie“.
In Organisationen, in denen ein kontinuierliches Führungskraft-Feedback nicht obligatorisch ist, werden die Kompetenzdefizite nicht ausreichend angesprochen und können dementsprechend auch nicht korrigiert bzw. kompensiert werden. Selbst dort, wo in Unternehmen kontinuierliche Reflexionsprozesse zum Führungsverhalten angeboten und durchgeführt werden, klaffen das Selbstbild der Führungskraft und das Fremdbild- Feedback der Mitarbeiter zum Teil weit auseinander (Allensbach Archiv, 2016).
Im Unterschied zu den Eigenschaften eines „Bad-Leaderships“ und der damit verbundenen „Dunklen Triaden von Führungskräften“, sind inkompetente Führungskräfte nicht darauf aus, ihren Mitarbeitern zu schaden. Machiavellistische, narzisstische oder psychopatische Züge sind nicht vorzufinden. Sie sind so, weil sie so sind. Inkompetente Führungskräfte verfügen vielfach nicht über die Fähigkeiten die man braucht, um zu einer richtigen Lösung für ihre Selbstüberschätzung zu kommen. Sie erkennen nicht, dass sie inkompetent sind. Die Folge kann eine weitere Verfestigung der Inkompetenz sein. Es existiert eine systematische, fehlerhafte Neigung von Wahrnehmung, Denken und Urteilen und somit eine kognitive Verzerrung (Pohl, 2017).
In der Unternehmenswirklichkeit sind auch Führungspositionen von Personen besetzt, die sich für besonders fähig in ihrer Führungsfunktion halten. Diese Führungskräfte unterliegen vielfach unbewusst einer Kompetenzillusion. Eine solche Einstellung und die daraus folgenden Verhaltensweisen in Führungsprozessen sind oftmals strukturell unterfüttert. Werden z.B. in Unternehmen Entscheidungsprozesse in starkem Maße zentralisiert und wird der Erfolg in der Führungsrolle personalisiert, besteht die Gefahr, dass sich die Kompetenzillusion bei Führungskräften stabilisiert. Dies trifft besonders für Personen in der Führungsrolle zu, die mit einem hohen Pflichtgefühl und an sich selbst die Führungsverantwortung wahrnehmen. Sie können nicht loslassen.
Folgen sind u.a. ein erhöhtes Maß an Rückdelegation von Mitarbeitern, was wiederum als ein Selbstbestätigungseffekt wirkt und die eigene Kompetenzillusion verfestigt (vgl. u.a. Wüthrich, 2020, S. 59). Die Kompetenzillusion ist dabei nicht nur ein individueller Urteilsfehler, sondern tief in der Kultur der Wirtschaft verankert (Kahneman, 2016). Besonders in Unternehmenskrisen wird der Ruf nach Personen deutlich, die über einen großen Gestaltungswillen und schnelle Entscheidungsfähigkeiten verfügen – ohne hinreichende Kompetenz für die zugrundeliegenden Sachverhalte.
Selbstbewusste Führungskräfte, die in solche Kompetenzfallen treten, setzen den Erfolg ihrer Maßnahmen grundsätzlich voraus. Hierdurch wird die Kompetenzillusion nicht infrage gestellt, das Selbstbild soll aufrechterhalten bleiben, selbst dann, wenn sich die Umfeldbedingungen geändert haben. Das Sammeln andersartiger und neuartiger Erfahrungen ist so kaum möglich, zumal im Erfolgsfall solche Führungskräfte diesen für sich beanspruchen und bei Misserfolg diesen auf Andere schieben können. Die Kompetenzillusion kann auch langfristig z.B. aufrechterhalten werden durch schnelle Jobwechsel, da in diesem Fall die Folgen des Handelns nicht spürbar werden (Hetzler, 2010, S. 109).
Führungskräfte mit einer hohen Kompetenzillusion fürchten sich vor einem Kontroll- und Machtverlust. In einem innovativen Umfeld mit Unvorhersehbarkeit und einer hohen Change-Rate generieren sich vielfältige Probleme durch die Verweigerung von Andersdenkenden und Andershandelnden. Die Quantität und Qualität von Lösungen und Entscheidungen leiden ebenso wie große Wissenspotenziale der Mitarbeiter ungenutzt bleiben. Diese verlieren an intrinsischer Motivation, das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, eigene Verantwortungsübernahme wird als gefährlich eingestuft und ein konstruktiv-kritischer Dialog mit der Führungskraft versiegt.
Diese Einstellungen und Verhaltensweisen aus der Mitarbeiterschaft bestätigen dann wiederum das Denken und Handeln der so nicht involvierten Führungskraft. Es entsteht eine sich selbst verstärkende Negativspirale mit der Folge einer Verfestigung auf beiden Seiten. Ein „omnikompetenter Silberrücken“ entscheidet über Themen und Problemfelder, die eigentlich nur von den direkten Betroffenen, die über hinreichende Kenntnisse der realen Situation verfügen, sinnvoll regelbar wären (Wüthrich, 2020, S. 60).
Führungskräfte mit einer hohen Ausprägung der Kompetenzillusion führen aufgabenorientiert und haben den Hang zum Mikromanager. Eine solche Leitungskraft kümmert sich sehr viel um Details, überspringt Berichtswege und Hierarchiestufen und reduziert somit den Freiraum und Umfang für Entscheidungen durch Andere innerhalb seines Verantwortungsbereichs. Das Verhältnis zum Mitarbeiter ist durch geringes Vertrauen und mangelnde Delegation gekennzeichnet. Folgen sind u.a., dass die besten Mitarbeiter kündigen oder sich in eine innere Emigration flüchten und nur noch Dienst nach Vorschrift verrichten.
Die seit 2001 jährlich durchgeführten repräsentativen Gallup-Erhebungen über das Engagement von Arbeitnehmern ab 18 Jahren in Deutschland zeigen über die Jahre hinweg, dass nur ein geringer Teil der Beschäftigten (2019: 15%) eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben. Gar keine Bindung hatten 2019 16% und lediglich eine geringe emotionale Verbundenheit 69%. Diese Zahlen sind in den Jahresvergleichen nahezu konstant und zeigen, dass rund jeweils 6 Millionen Arbeitnehmer entweder eine hohe oder gar keine Bindung haben und der weit überwiegende Arbeitnehmerteil, rund 25,5 Millionen, sich nur gering gegenüber dem Unternehmen verbunden fühlen.
Diesen Zahlen legen, neben strukturellen Missständen in Unternehmen, erhebliche Defizite im Führungsverhalten offen (GALLUP, 2019). Führungskräfte, die einer Kompetenzillusion unterliegen und als Mikromanager agieren, forcieren eine toxische Unternehmenskultur. Kontrolle, Weisungen, Überwachungen und ausgewachsenes Misstrauen bestimmen das zwischenmenschliche Miteinander im Unternehmen. Die Arbeitsmoral sinkt und es entsteht eine Söldnerkultur, in der extremistische Motivation vorherrscht (vgl. Reif, 2019/ Wilkens, 2014).
Auch finden in solchen Konstellationen kaum Feedbackprozesse zur Führungskraft statt, da diese sich nach Erfahrungen der Mitarbeiter als „sinnlos“ erwiesen haben oder ihrer Meinung nach erweisen würden. Ein Lernprozess bei der Führungskraft findet somit ebenso nicht statt wie bei den Mitarbeitern. Überspitzt kann gesagt werden: „Jede Aktion (der Führungskraft) ohne Reaktion (Feedback aus seinem Umfeld) erzeugt bzw. stabilisiert die Kompetenzillusion!“
Literaturverzeichnis: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 7224, veröffentlicht unter: izf Führungsstudie 2016: Was macht Führung zukunftsfähig, 2016, S. 72 - 73. / Chamorro-Premuzic, T.: Why Do So Many Incompetent Men Become Leaders, 2019. / Gallup-Engagement-Index Deutschland, 2019. / Hetzler, S.: Real-Time-Control für das Meistern von Komplexität, 2010. / Kahneman, D.: Schnelles Denken – langsames Denken, 2016. / Kruger, J., Dunning, D.: Unskilled an Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One`s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments, in: Journal of personality and social psychologiy, Bd. 77, Nr. 6, 1999, S. 1121 - 1134.
Lisch, R.: Inkompetenzkompensationskompetenz: Wie Manager wirklich ticken, 2016. / Nauert, A.: Nieten ohne Nadelstreifen, 2018. / Ogger, G.: Nieten in Nadelstreifen,1992. / Peter, L.J./Hull, R.: Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigen, 1972. / Pohl, R.F. (Hrsg.): Cognitive Illusions, 2. Auflage, 2017. / Reif, M.K.: Micromanagement: Was ist das und warum ist es schädlich?, in: Human Ressources Manager, 11.9.2019. / Wilkens, M.M.: Signs That You`re a Micro-Manager, HarvardBusiness Review, 11. 2014. / Wüthrich, H.A.: CARPRICCIO, 2020.